Wie kann ein solidarischer Umgang mit Zeit, Geld und Energie funktionieren? Eine Beschreibung des heutigen iniciato Bedürfnismodells.

Bereits bei unseren ersten Überlegungen zur Gründung von iniciato waren wir uns einig, dass wir ein solidarisch-versorgendes Miteinander wollen. Gerade weil wir alle in unterschiedlichen Arbeits- und Lebenssituationen unterwegs sind und wir alle sehr Unterschiedliches mit in den gemeinsamen iniciato-Topf einbringen.

Die Auszahlungen für alle, egal ob Gesellschafter:in der GbR oder nicht, erfolgen gemäß des Bedürfnisses einer:s jeden. Unabhängig von den erledigten Aufgaben, der Berufserfahrung oder des erarbeiteten Umsatzes und auch nicht direkt an die eingebrachte Zeit gekoppelt. Den Bedürfnissen steht im Wesentlichen nur die wirtschaftliche Situation des Unternehmens gegenüber.

 

Unser Bedürfnis-Ritual

Einmal im Quartal treffen wir uns und einen halben Tag kümmern wir uns dann um uns selbst: Wir teilen unsere Bedürfnisse für das kommende Quartal. Die Bedürfnisse betreffen das Miteinander im Team, die Wirksamkeit des eigenen Tuns, andere Faktoren der Arbeitsbedingungen und das benötigte Geld. Und zudem geben wir alle an, welchen Teil unserer unternehmerischen Energie jede:r für iniciato zur Verfügung stellt.

Die unternehmerische Energie bemisst jede:r von uns anhand der Frage: Welchen Anteil der Energie, die ich für Erwerbsarbeit aufbringe, stelle ich für iniciato zur Verfügung? Anfänglich haben wir die geplante Arbeitszeit abgefragt und haben erlebt, wie sehr es entlastet, auch von dieser Größe als Maßstab weg zu kommen. Aktuell dient die Arbeitszeit eher individuell als Grenze, um die eigenen Ressourcen im Blick zu behalten.

Zu den Bedürfnissen, die das Miteinander und die Arbeitsbedingungen betreffen, gibt es eine Aussprache: Meist reicht es schon, sich mit dem Aussprechen Gehör verschafft zu haben. Wenn nicht, arbeiten wir gemeinsam an Lösungen.

Im letzten Block sammeln wir das monetäre Bedürfnis von uns allen, das jede:r in 2 Stufen angibt: 

  1. Minimum-Level, der sich daran orientiert: „Das ist das Mindeste, das ich zum Leben brauche.“
  2. Toll-Level, der sich daran orientiert: „Ich schöpfe aus meiner persönlichen Fülle.“

Den Bedürfnissen von uns Einzelnen wird die aktuelle wirtschaftliche Situation und eine aktualisierte Planrechnung gegenübergestellt. Mit diesen Informationen gehen wir in die Abstimmung wieviel % von welchem Level wir in den kommenden 3 Monaten ausschütten.

Unsere Erfahrung damit

Uns geht es gut damit. Es ist ein intensiver Weg gewesen und wird es wohl auch noch weiter sein. Meine Vermutung war im Vorfeld, dass es intensiv wird, weil es um Geld geht oder weil das Gerechtigkeitsempfinden gestört ist. Das war bei den ersten Malen auch latent ein Thema, inzwischen hat jede:r von uns einen Umgang damit gefunden.

Intensiv ist es, weil wir erstmal lernen mussten (und immer noch müssen?) uns selbst über unsere Bedürfnisse klar zu werden und diese dann auch noch zu äußern. Das ist doch spannend, wie wenig wir geübt sind, uns klar zu machen, was wir gerade brauchen, damit es uns gut geht und wir gut wirken können. Und wie sehr wir an Glaubenssätzen und Zweifeln festhängen. 

Intensiv ist es auch, weil die Bedürfnisse, die das Miteinander betreffen, viel aufgeladener und viel drängender sind als die anderen. So ist das Bedürfnisritual immer auch ein Ort der sozialen Hygiene.

Von Beginn an war klar, dass die Bedürfnisse nicht von den anderen hinterfragt werden, vor allem nicht die monetären Bedürfnisse. Es ist die Aufgabe von allen, mit den Bedürfnissen einen Umgang zu finden – wir müssen aushandeln, wie die unterschiedlichen Belange im System gut austariert und im besten Fall befriedigt werden können. Eine ganz wesentliche Voraussetzung, damit das gut funktioniert, ist das gewachsene Vertrauen zwischen uns.

Für mich war es großartig die Solidarität wirklich zu erleben: Dass ich auch als Unternehmer ausfallen darf und dennoch getragen werde von den anderen. 

 

Wie sieht das dann in der Praxis aus?

Wir hatten im ersten Quartal des iniciato-Seins auf jegliche Ausschüttungen verzichtet, um erstmal Liquidität anzusparen. Und seither geht es uns wirtschaftlich gut und wir konnten immer Auszahlungen über dem Minimum-Level ermöglichen. Aktuell zahlen wir uns das vollständige Minimum plus 10% des Toll-Levels aus.

Wie eingangs erwähnt, sind wir divers in Bezug auf das, was wir einbringen in die gemeinsame Unternehmung. Die Kontingente der unternehmerischen Energie, die wir der Arbeit in iniciato zur Verfügung stellen, schwanken von 15 bis 100%.

Unser Bedürfnismodell ist noch lange nicht fertig entwickelt und vielleicht wird es das auch niemals. Es ist in einem guten Fluss. Bislang hatten wir das Glück, noch nicht durch eine Krise gehen zu müssen: weder im Miteinander noch auf der wirtschaftlichen Ebene. Bis jetzt fühlt es sich so an, als wären wir mit dem Modell und dem Miteinander gut gewappnet dafür – aber wirklich wissen können wir’s natürlich nicht. 

Ergänzung: Im Oktober 2022 waren Sophie und Robin zu Gast bei den Solidarischen Unternehmen Münsterland und haben unser Bedürfnisritual vorgestellt und diskutiert. Hier kannst du dir die Aufzeichnung anschauen: https://vimeo.com/810089215

Und wir wollen das Modell noch ausweiten. Unsere Idee ist, einen Solidarfond zusammen mit anderen Unternehmen ins Leben zu rufen. Über den dann Basisbezüge für Elternzeit, Pflegezeit, Sabbaticals, Altersteilzeit und so weiter möglich werden. Wenn sich das für Dich spannend anhört, dann meld dich gerne bei uns!