Der Krieg in der Ukraine erschreckt uns, geht unter die Haut, macht fassungslos und traurig. Und es erzeugt in mir ein Gefühl von besonderer Betroffenheit und Ohnmacht, eine Spur von diesem Krieg zu mir und meinem Lebensstil zu erkennen. Denn offensichtlich gibt es über meinen Energie-Konsum (zumindest übersetzt in Form von Mobilität und Nutzung von Infrastruktur) eine Verbindung mit den Finanzquellen dieses Krieges. Was ich hier so deutlich vor Augen habe, sehe ich in anderen Konflikten nur, wenn ich sehr genau hinschaue: Viele der internationalen Konflikte basieren auf den ökologischen und sozialen Folgen des Wirtschaftens der sogenannten Industriestaaten.

Vielleicht ist eine wichtige Frage, die ich mir daher stellen sollte:
Wie ist es, wenn mein Handeln und Wirtschaften fortan aktiv Frieden gestaltet?

 

LEBENDIGE BEZIEHUNGEN

Frieden wird befördert, wenn mein Handeln konsequent auf lebendigen Beziehungen basiert, wenn ich im Dialog mit den Menschen, die von meinem Handeln betroffen sind, nach Wegen suche, die für uns beide stimmig sind. Das ist dann der Fall, wenn ich die Würde und das Korsett der Anderen stets auch in den Blick nehme. Wenn es in der Regel keine Verlierer als Folge meiner Entscheidungen gibt.

Vielfalt ist ein Meilenstein bei der Gestaltung lebendiger Beziehungen. Durch Vielfalt in meiner Umgebung lerne ich neue Blickwinkel kennen. Durch Vielfalt lerne ich den Umgang mit dem Anderen und es erleichtert mir, Bedürfnisse der verschiedenen Wesen, mit denen ich in Beziehung stehe, zu erkennen.

Und konsequenterweise geht es nicht nur um die Beziehung zu den Menschen, mit denen ich durch mein Handeln verbunden bin. Es geht ebenso um alle Mitwesen, die ich mit meinem Handeln betreffe. Die Tiere und Pflanzen und Natur brauchen also gleichermaßen Stimmen, mit denen ihre Bedürfnisse hörbar werden. Und für alle Stimmen gilt: Keine:r der Beteiligten stimmt etwas zu, was ihr oder ihm ausschließlich zum Nachteil gereicht.

Konkret heißt das, dass ich aus meinen Beziehungen zu meinen Kolleg:innen, Lieferant:innen, Mitarbeiter:innen, Kund:innen, Mitbewerber:innen und zu der Natur, ein tiefes Wissen und Gespür habe und sehr gut abschätzen kann, welche Folgen meine Entscheidungen haben. Daraufhin suche ich vor einer Entscheidung den Dialog mit denen, für die meine Entscheidung von Nachteil sein wird. In dem Dialog suchen wir zusammen nach einem Weg, der für alle Beteiligten gut ist, der versucht, Nachteile zu vermeiden und wo das nicht möglich ist, auszugleichen oder sie so zu etablieren, dass sie gut getragen werden können. Der Dialog kann nur ergebnisoffen geführt werden und auch darin münden, den angestrebten Weg eben nicht zu gehen.

Tierische Produkte kann ich nur dann verarbeiten, handeln oder konsumieren, wenn ich mich intensiv mit dem Wohl eben dieser Tiere beschäftigt habe und mir sicher sein kann, dass deren Bedürfnisse nicht zurückstehen mussten, damit ich ein günstiges Produkt erwerben kann. (Dieses Beispiel zeigt auch, dass ich bestimmte ethische Dilemmata nicht auflösen kann: Ich kann dafür sorgen, dass es dem Tier möglichst gut geht und dennoch gibt mein Konsumverhalten den Rahmen für das Leben und Sterben dieser Tiere vor).

Produkte aus dem globalen Süden kann ich beispielsweise nur dann kaufen, wenn ich entweder selbst eine lebendige Beziehung zu den Menschen habe, die dort mit den Produkten umgehen. Oder wenn ich mir sicher sein kann, dass das Unternehmen, von dem ich die Produkte kaufe, diese Beziehung unterhält. In beiden Fällen muss ich mir sicher sein, dass die Bedürfnisse der Menschen im Ursprung klar sind, um dann ebenso Eingang zu finden in die Gestaltung der Versorgungskette wie die der Natur vor Ort und meine eigenen Bedürfnisse und die der anderen Beteiligten.

Spätestens wenn ich darüber nachdenke, wie ich diese Verantwortung wirklich delegieren kann und sollte, wird mir klar, wie häufig ich dies tue und wie unreflektiert. Als Konsument gehe ich in den Bio-Supermarkt und ich weiß, dass kaum ein Produkt darin wirklich dem hier formulierten ethischen Anspruch genügt. Ich weiß: Es gibt in aller Regel keine lebendige Beziehung zwischen dem Handelsunternehmen und den Erzeuger:innen. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als mich für vieles um Alternativen zu kümmern und mein Einkaufs- und/oder Konsumverhalten zu verändern.

ACHTSAMKEIT

Eine wichtige Voraussetzung für die Gestaltung lebendiger Beziehungen ist, dass ich bereit bin, an mir selbst zu arbeiten und mich zu verändern: Um achtsamer zu werden, um mir neue Techniken anzueignen, wie ich mit mir und mit anderen umgehe. Um zu lernen, meine Bedürfnisse zu klären und zu artikulieren, um mir neu zu überlegen, wie ich im Arbeitsleben handle. Und auch um zu verlernen, wie ich bislang agiert habe.

Achtsamkeit heißt in diesem Zusammenhang auch innehalten, mit allen Sinnen wahrnehmen. Wenn ich achtsam bin, erkenne ich eher, was ich gerade selbst brauche und was mein Gegenüber braucht. Eine Voraussetzung ist die Zeit und die Kultur, um dieses Innehalten zu ermöglichen und über die Bedürfnisse ins Gespräch zu kommen.

Eine Folge ist das Abschütteln des Glaubenssatzes, dass die eigene Bedeutung mit der beruflichen Belastung zusammenhängt. Wenn ich überlastet oder zumindest stark ausgebucht bin, bin ich in unserer Kultur anerkannt. Das „ich habe keine Zeit“ und „ich bin völlig überlastet“ lassen jedoch keine Entwicklung in der hier beschriebenen Form zu und tragen zur Unachtsamkeit bei. Diese Zustände der Überlastung nehmen uns den Raum, um ins Gespräch zu kommen über das, was wichtig ist. 

FÜHRUNG

Führung ist spätestens in einem friedenschaffenden Wirtschaften und Arbeiten kein Durchsetzen mehr und hat jede „Basta“-Allüren verloren. Führung ist Dialog, ist die richtigen Fragen stellen. Führung ist Sicherheit geben, um gutes Arbeiten zu ermöglichen. Führung ist einen Orientierungsrahmen aufspannen, aus dem heraus Priorisierung einfach ist.

Das heißt nicht, dass alle Entscheidungen in einer Organisation basisdemokratisch getroffen werden müssen. Die Gestalter:innen entscheiden aus dem Dialog und der lebendigen Beziehung mit den Menschen, die die Entscheidungen betreffen.

Führungskräfte halten den Schlüssel für die Veränderung in der Hand. Zunächst nach innen, um in ihrem Wirkungskreis genau ein solches Miteinander zu erlernen, einen Rahmen aufzuspannen für eben diese lebendigen Beziehungen, für ein achtsames Umgehen jede:r mit sich und im Team.

Vielleicht erst in einem zweiten Schritt geht es nach außen, geht es um die Beziehungen zu Dritten. Um ein Reflektieren und Lernen und um ein gemeinsames Gestalten des Neuen.

KONSEQUENZEN

Wir haben uns daran gewöhnt, dass es im miteinander Wirtschaften Verlierer:innen gibt und es ist wohl utopisch anzunehmen, dass Benachteiligungen komplett vermeidbar sind. Wir wissen, dass unser Lebensstil zu Nachteilen für andere (inkl. die Natur) führt. Eine Konsequenz aus der Idee des friedenschaffenden Wirtschaften ist, dass ich aus dieser Gewohnheit immer wieder ausbreche und mir die Benachteiligungen möglichst bewusst mache. Und dabei lerne, dass ein Wegschauen, ein „weiter so“ zum Gegenteil von Frieden führt.

Eine weitere Konsequenz ist Überschaubarkeit. Unsere Versorgungsketten sind kürzer und damit weniger arbeitsteilig. Es gibt direkte Bezüge vom Rohstoff bis zu den Verwender:innen des fertigen Produktes. Jede:r Beteiligte hat damit die Chance die Versorgungskette zu durchdringen und kann so direkt Verantwortung übernehmen.

Das Streben nach Effizienz ist nicht mehr wesentlicher Motor für Entwicklung, rein effizienz- oder preismotivierte Entscheidungen finden nicht mehr statt. Statt dem eigenen Wachsen werden wir uns in Kooperationen zukunftsfähig aufstellen und gemeinsam entwickeln.

Eine weitere Folge ist das „Mehr vom Weniger“. Weniger konsumieren, weniger Aufgaben, weniger Wollen und damit ein Mehr gewinnen. Mehr Zeit für sich, mehr Tiefe in den Verbindungen, mehr Entschleunigung, mehr Achtsamkeit – mehr Arbeits- und Lebensqualität.

 

ES GIBT SIE NICHT DIE RICHTIGE LÖSUNG, SONDERN NUR DEN GUTEN WEG

Das oben angeführte Beispiel mit den Produkten aus dem Süden macht klar: Es gibt hier keine fertigen Lösungen. Weder für mich als Konsument noch für das Handelsunternehmen. Ich kann nicht wissen, was das Richtige ist (und ich vermute, auch niemand anderes kann das). Ich muss aushalten, dass es keine fertigen Rezepte gibt. Das geht als Privatmensch vielleicht noch ganz gut, im Wirtschaftsleben ist das revolutionär, weil ich keine wirklich fertige Lösung anbiete, sondern meinen Kunden zumuten muss, dass es viel Unzulängliches in meinem Angebot gibt.

Ich werde all meinen Mut brauchen, auf dieses Unzulängliche einzugehen, darauf explizit hinzuweisen und dennoch um das Vertrauen für eine Zusammenarbeit zu bitten.

War ich so mutig und habe das vollbracht, dann kann ich alle Beteiligten mitnehmen auf meiner Reise und kann von meinen Fortschritten und meinen Rückschlägen erzählen. Dann muss ich nur noch der Versuchung widerstehen, das neu Erlangte, die Verbesserung als Lösung zu verkaufen. Denn auch das ist nur ein Zwischenstand auf dem Weg zu einem friedensschaffenden Wirtschaften.

 

Wie ist es, wenn mein Handeln und Wirtschaften aktiv Frieden gestaltet?

In diesen Überlegungen geht es um das Handeln eines jeder:n Einzelnen und die strukturelle Ebene bleibt außer Acht. Es braucht eine gleichzeitige Doppel-Transformation – sowohl durch individuelles Handeln und durch eine Bewegung in der Politik. In unserer Demokratie heisst das, das auch hier wieder die und der Einzelne gefragt ist, sich für die Veränderung der politischen Agenda zu engagieren.

Wichtig ist also, dass jede:r ihren und seinen Spielraum ausnutzt und somit kleine Beiträge für eine friedlichere Welt gestaltet. Wir wissen dabei, dass wir das niemals alleine schaffen und bleiben dennoch unruhig, vermessen unsere Spielräume immer wieder neu – und in der Folge freuen wir uns über den nächsten kleinen Schritt. Und den gehen wir mit einer Zufriedenheit, auch wenn es gemessen am Großen Ganzen ungenügend scheint und vermeintlich wenig bewegt.

Ich merke, dass uns ein gemeinsames Nachdenken und Handeln entlang der Frage nach dem friedensschaffenden Wirtschaften weit tragen könnte. Ich bekam mit dieser Frage andere Zugänge zur sozialen Nachhaltigkeit und neue Sichten auf kooperatives Handeln.

 

Der Impuls für diesen Beitrag kam durch intensive Gespräche mit Manuel Pick, Unternehmer*-Beratung. Mit ihm zusammen ist auch ein Beitrag für den BioHandel entstanden. Manuel geht in seinen Überlegungen noch weiter und fragt sich, wie es wäre, wenn Frieden das Ziel unseres Wirtschaftens wäre.
Auch durch unsere Begleitung der Initiative Sicherheit neu Denken kommen wir immer wieder in Berührung mit der Frage, wie internationale Sicherheit ohne Militär entstehen kann.